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Von 1997 bis 2015 bestand der vom bayerischen Kultusministerium geförderte Austausch des Dientzenhofer-Gymnasiums mit dem Zentrum Językơw Europy, einem Fremdsprachenlehrerkolleg in der polnischen Stadt Tschenstochau. Jeden Herbst besuchten ca. 20 polnische Sprachenstudenten für zehn Tage Bamberg, um an deutschen Schulen zu hospitieren, einen Einblick in das deutsche Schulsystem zu gewinnen und in eigenen Unterrichtsversuchen deutschen Schülern unser Nachbarland näher zu bringen. Das u.a. vom Studienseminar gestaltete Begleitprogramm umfasste Führungen durch Bamberg, Nürnberg, Würzburg, Ausflüge zu verschiedenen Zielen im Bamberger Umland sowie Fachsitzungen am DG und sportliche, kulturelle bzw. gesellige Begegnungen.

Seit 2007 kam es jeden Januar zum Gegenbesuch der Referendare in Polen. Zwar schloss das Fremdsprachenkolleg 2015 seine Pforten, das deutsch-polnische Projekt hatte dennoch Zukunft. Die Stadt Tschenstochau und das SOD (Samorządowy Ośrodek Doskoalenia), die städtische Einrichtung für Lehrer, die schon vorher intensiv in den Lehreraustausch involviert waren, vereinbarten mit dem Dientzenhofer-Gymnasium die Fortführung der Zusammenarbeit, um die Kontakte aufrechtzuerhalten und zu vertiefen. Denn es sind die persönlichen Beziehungen zwischen den Menschen, mehr noch als Vereinbarungen von Politikern, die entscheidend für die Freundschaft zwischen den Völkern sind, so der stellvertretende Stadtpräsident von Tschenstochau und Historiker Dr. Ryszard Stefaniak anlässlich der Verleihung des Ordens Missio Reconciliationis (Auftrag zur Versöhnung) an unseren Delegationsleiter Reinhold Wick.

Und so machten sich auch dieses Jahr das Studienseminar auf den Weg nach Polen. Auch wenn das Programm desBesuches von Jahr zu Jahr variiert, gibt es doch einige Fixpunkte: Da ist zunächst der Besuch in Krakau, der alten polnischen Königsstadt. Hier lernen die Referendare das „Herz“ Polens kennen, den Wawel, auf dem ein Großteil der polnischen Könige begraben ist, das jüdische Viertel Kazimierz, den Altar des Nürnbergers Veit Stoß in der Marienkirche sowie eine einzigartige, lebendige Metropole, die nicht umsonst als erste europäische Stadt zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Dass für eine deutsche Reisegruppe der Besuch in Auschwitz zum Pflichtprogramm gehört, muss nicht eigens begründet werden. Nirgends wird das Ausmaß des industriellen Massenmords erfahrbarer, nirgends wird deutlicher, wie tief die Wunden sind, die die Nazi-Barbarei in das Verhältnis der Deutschen zu ihren europäischen Nachbarn gerissen hat. Gräben zu überwinden, Vorurteile abzubauen, die Kultur des Nachbarlandes kennen zu lernen, ist schließlich das wichtigste Ziel des Besuches in Tschenstochau, der letzten Etappe der Reise. Hier bekommen die jungen Lehrerinnen und Lehrer einen Einblick in das polnische Schulsystem, einerseits durch eine Informationsveranstaltung am SOD, vor allem aber durch Hospitationen an verschiedenen Schulen. Ob Grundschule, Lyzeum oder berufliche Schulen, überall werden unsere Referendare mit großem Interesse und ausgesprochen herzlicher Gastfreundschaft empfangen. Im Mittelpunkt eines jeden Aufenthalts in Tschenstochau steht natürlich der Besuch im Kloster Jasna Góra bei der berühmten schwarzen Madonna, der „Seele Polens“, für jeden eine tief beeindruckende Begegnung mit der polnischen Volksfrömmigkeit. Unsere Gruppe durfte ausnahmsweise sogar die Klosterbibliothek betreten und die prachtvolle barocke Ausgestaltung sowie wertvolle Bücher bewundern.

Im Folgenden lesen Sie die persönlichen Eindrücke einer Studienreferendarin:

Polen – eine Sammlung von Kleinodien:

Samstag 04.01.2020 Görlitz / Zgorzelec

Ich bin begeistert von den Portalen in der Altstadt. Viele Hauseingänge sind kunstvoll gestaltet. Holz oder Stein, eckig oder rund, einfarbig oder bunt – jedes ist einzigartig. Begeistert fotografiere ich während meines Rundgangs Tür und Tor. Vielleicht lässt sich daraus etwas machen. Ein Adventskalender wäre spannend, ganz nach dem Lied „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“. Aber was wäre das richtige Bild für das Weihnachtsfest? Eine Kirchentür? Eine geöffnete Tür? Die Ideen überzeugen mich noch nicht. Ich schlendere über die Neiße, geschockt von der Information, dass hier erst seit dem EU-Beitritt Polens wieder eine Brücke existiert. Als ich auf der anderen Seite stehe uns zurückblicke, weiß ich es, was mein Weihnachtsbild werden muss: Die Brücke, die einlädt Grenzen zu überschreiten!

Sonntag 05.01.2020 Krakauer Ghetto

Hätte Jadwiga uns nicht darauf hingewiesen, wir hätten es nicht gemerkt. Auf einmal stehen wir mitten im Krakauer Ghetto. Es sind einfach wieder ganz normale Straßenzüge. Wie können die Spuren einfach so verschwinden? Wie kann man hier ganz normal weitermachen? Wie kann man hier wohnen ohne jeden Tag daran zu denken, was hier geschehen ist? Anders herum betrachtet, ist es wohl auch nicht sinnvoll, alle Überreste der NS-Zeit brachliegen zu lassen, gerade wenn es sich um begehrten Wohnraum handelt. Sicher braucht es an der einen oder anderen Stelle auch eine Wiederauferstehung zu neuem Leben. Wie viele Menschen hier wohl wissen, wo sie wohnen?

Sonntag 05.01.2020 Schindler-Museum

Ein Raum voller Namen – Namen, die auf Schindlers Liste standen – Namen von Überlebenden. Der runde Raum erinnert mich trotz seiner geringen Größe an die Halle der Namen in Yad Vashem, einen riesigen runden Raum mit Ordnern voller Gedenkblätter für die Holocaustopfer und noch immer vielen leeren Regalbrettern namenloser Opfer. Wie gut es doch tut, auch einmal der Lebenden gedenken zu dürfen!

Die Führung endet im Raum der Schatten. Alles ist grau, nichts ist schwarz, nichts ist weiß. Jadwiga mahnt uns: Es ist geschehen, es kann also wieder geschehen. Wir wissen nicht, wie wir unter den Umständen der NS-Zeit gehandelt hätten, wer von uns Überzeugungstäter, Mitläufer, Erpresser oder Erpresster, egoistischer Geschäftsmann oder Widerstandkämpfer gewesen wäre. Es bleibt zu hoffen, dass wir es niemals herausfinden müssen.

Montag 06.01.2020 Auschwitz – Stammlager

Ich betrete den ersten Museumsraum. Auf einer Europakarte sind wichtige Bahnhöfe dargestellt, von denen aus Menschen nach Auschwitz deportiert wurden. Noch ehe ich den Sinn der Karte recht erfasst habe, fällt mein Blick auf den Namen meiner Heimatstadt.      „Essen / Bochum“ steht dort. Habe ich schon einmal daran gedacht, was auch an meinem Heimatbahnhof, Schreckliches geschah? Welche Züge von Holland und Belgien mitten durch das Ruhrgebiet rollten? Denkt daran, trägt uns Jadwiga auf, jeder Koffer, jede Prothese, jedes Brillengestell gehörte einem Menschen mit Gefühlen und Emotionen, mit Träumen und Vorlieben und Plänen für eine Zukunft, die es niemals gab.

Montag 06.01.2020 Auschwitz – Birkenau

Überall Asche – Wir gehen über den größten Friedhof der Welt.

Jadwiga meint, es kämen zu viele Leute nach Auschwitz. Ich bin irritiert. Sollte sich nicht jeder einmal damit auseinandersetzten? Im Grunde stimmt sie mir zu. Sie hat nur schon zu viele Menschen durch diese Anlage geführt, die nicht begreifen konnten oder wollten, wo sie waren. In Krakau einen Tagesausflug zum Schnäppchenpreis gebucht und in Auschwitz rausgekommen. Wer waren Juden? Hatten diese Leute keine Anwälte? – Manches, meint Jadwiga, könne man nicht mal eben und einfach erklären. Und natürlich hätten die Leute Anwälte gehabt, sie waren gleich im nächsten Wagon. Daran, dass Auschwitz kein Ort für Selfies ist, muss sie manche Touristen mehrfach erinnern.

Dienstag 07.01.2020 Schulbesuch

Ich lerne wie man sich die letzte Ziffer von  erschließen kann. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Erst im Laufe des Vormittags wird mir klar, wie sehr ich mir gewünscht hätte, dass ich mich mit ein paar Schülern oder Lehrern unterhalten kann, im Unterricht vorgestellt werde und etwas beitragen kann. Als ich die Lage erkenne, ist es bereits zu spät, daran noch etwas zu ändern. Schade! Ein Kontakt im Vorfeld hätte hier nicht alles, aber doch vieles retten können.

Mittwoch 08.01.2020 SOD

Unser System der dualen Berufsausbildung wird hoch geschätzt, weil ohne das rechte Material keine angemessene Ausbildung möglich ist. Eine Schule kann man toll ausstatten, doch nach fünf Jahren ist die Ausstattung veraltet. Ein Betrieb jedoch hat in der Zwischenzeit laufend neue Maschinen, Materialien, Werkzeuge etc. beschafft.

Platz des Europäischen Versprechens

Der Künstler Jochen Gerz hat in Bochum als Pendant zu den Gedenktafeln für die Gefallenen der beiden Weltkriege im Turm der Christuskirche den gesamten Vorplatz mit den Namen Lebender gepflastert. Menschen haben hier ihren Namen gegeben, um ein Zeichen für Frieden und Verständigung in Europa zu setzen. Nach dieser Fahrt nach Polen denke ich, dass es an der Zeit ist, mein europäisches Versprechen zu erneuern und mich an meiner neuen Schule dafür einzusetzen, dass Schüler auch mit unseren östlichen Nachbarländern hautnah in Berührung kommen.

Das Studienseminar 18-20 in Tschenstochau

Das Studienseminar 18-20 auf Jasna Góra in Tsechenstochau