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Ein Sprichwort sagt: „Dagegen ist kein Kraut gewachsen.“ Nach unserer Betriebsbesichtigung in Frau Leumers Kräutergärtnerei „Mussärol“ in der Nürnberger Straße 86, ist das P-Seminar „Erstellung von Informationsfilmen zur Gärtnerstadt Bamberg“ jedoch der Überzeugung, dass hier gegen und für alles ein Kraut wächst, denn wir sahen Duftkräuter, Heilkräuter, Küchenkräuter, Nachtdufter, usw. Wer von uns hätte gedacht, dass es so viele verschiedene Kräuterarten gibt? Und wem war bekannt, dass Kräuter eigentlich „ein Gemüse“ sind?

Frau Leumer führt ihren Betrieb seit über 25 Jahren und dies bereits in sechster Generation. Ihre Eltern waren noch konventionelle Gemüsebauern, sie hat sich dann jedoch auf die Welt der Kräuter spezialisiert. Sie arbeitet ökologisch und in diesem Zusammenhang erfahren wir, dass es eigentlich gar kein „Unkraut“, sondern lediglich ein nicht so erwünschtes „Beikraut“ zwischen den Nutzpflanzen gibt.

Ein neues wirtschaftliches Standbein von Frau Leumers Gärtnerei ist der Lavendelanbau. „Klein Provence“ nennt sie daher ihr großes Lavendelfeld mit zwölf verschiedenen Arten, wenn es von Juni bis August in voller Blüte steht, und sie ist stolz darauf, das erste Bamberger Lavendelöl und Lavendelwasser zu produzieren. Dieses wirkt beruhigend und sogar antiseptisch, während die bekannten Lavendelkissen in den Kleiderschrank gelegt werden können, um Motten zu vertreiben.

Unser eigentliches Interesse gilt jedoch dem Süßholz, das vor 500 Jahren aus dem asiatischen Raum über die Klöster in Bamberg eingeführt wurde. Süßholz ist eine nicht-heimische, mehrjährige, winterharte Staude, die auf unseren leichten Sandböden sehr gut wachsen kann, weil sich darin die Wurzeln gut unterirdisch ausbreiten kön­nen. Der oberirdische Teil, der eine Höhe von bis zu zwei Metern erreichen kann, wird nicht verwendet, sondern nur die unterirdischen Wurzeln, die sich im Idealfall bis zu acht Meter tief und bis zu zwölf Meter in die Breite ausbreiten können. Allerdings wächst diese Pflanze nur sehr langsam und erfordert neben viel Zeit auch sehr viel Handarbeit. Man kann sie nur alle vier Jahre ernten. Dabei sticht man mit dem Spaten entlang einer schönen Hauptwurzel nach unten und versucht, die etwa fingerdicken Seitenwurzeln aus dem Boden zu heben. Die Süß­holzwurzel wird anschließend zu einem Kranz gebunden, aufgehängt und getrocknet, wobei sie hierbei so hart wie Holz wird. Früher galt es als höchste Kunst, eine Süßholzwurzel unbeschadet aus dem Boden herauszuho­len, und diese Tätigkeit war deshalb einst Teil der Gärtnermeisterprüfung.

Süßholz ist 50 Mal süßer als Zucker. Erstaunlicherweise ist es aber selbst für Diabetiker geeignet. Süßholz gab es früher auf Volksfesten zu kaufen und Liebhaber haben es ihren Freundinnen als kleine Aufmerksamkeit ge­schenkt. Wir kennen es vor allem als Inhaltsstoff von Lakritz(e), die auch unter dem Namen „Bärendreck“ bekannt ist. Süßholz war zudem der Vorläufer unseres Kaugummis und 2012 wurde es zur Heilpflanze des Jahres gekürt, denn es ist gut gegen Bronchial- sowie gegen Magen-Darm-Erkrankungen. Außerdem wirkt es appetithemmend sowie durststillend. Lediglich für Leute mit Bluthochdruck ist es nicht ganz so optimal geeignet.

In Afrika kommt Süßholz sogar als Zahnbürstenersatz zum Einsatz, weil es antiviral und antibakteriell wirkt. In geraspelter Form gibt es Süßholz auch als Tee zu kaufen. Apropos „Süßholzraspeln“ – diese Redewendung bezieht sich natürlich auf das Raspeln bzw. Reiben der harten Süßholzwurzel. Im übertragenen Sinn bedeutet es, einer Person genau das zu erzählen, was sie hören möchte, meist mit der Absicht, dass für diese Schmeichelei eine Gegenleistung erbracht wird. Bei Frau Leumer durften wir ein wenig geraspeltes Süßholz, das es bei ihr zu kaufen gibt, kosten und wir waren erstaunt, dass nur wenige, winzig kleine Holzspäne so intensiv nach Lakritze schmeckten.

In den 1960er Jahren wurde das letzte Süßholzfeld in Bamberg abgeerntet und die Kenntnisse über diese Pflan­ze gingen leider langsam verloren. Auch aufgrund der großen Konkurrenz aus China waren Süßholzfelder bei uns nicht mehr rentabel. Es fehlt heute somit an Schriften über den Anbau, da früher alles Wissen mündlich an die nächste Generation weitergegeben wurde. Dabei war das Süßholz einst die wichtigste Kulturpflanze von Bam­berg. Alle orangen Flächen auf dem Bamberger Zweidlerplan aus dem Jahr 1602 waren Süßholzfelder. Die Gärt­ner sind auch die einzige Berufsgruppe, die auf diesem alten Stadtplan verewigt ist. So ist neben dem Zeichen des Fürstbischofs das einzige „Sonderzeichen“ auf dem Bamberger Zweidlerplan das „Logo“ der Bamberger Gärtner. Dabei handelt es sich um eine Abbildung von zwei Süßholzringen inmitten von drei gemalten Süßholz­pflanzen mit ihren Wurzeln.

Um diese Tradition wieder aufleben zu lassen, wurde, unter anderem von Frau Leumer, im Rahmen der Landes­gartenschau 2012 die „Bamberger Süßholzgesellschaft“ gegründet. Bei ihr wurde auch das erstes Bamberger Süßholzfeld wieder neu angelegt.

Frau Leumers Ansichten zum Thema „Gärtnerstadt und Welterbe“ waren gerade für unser P-Seminar interessant. So haben wir im letzten Jahr oft gehört, dass es für Bambergs Gärtner schwierig sei, die schmalen Felder hinter den Häusern zu bewirtschaften, dass ein Maschineneinsatz kaum möglich wäre, dass die Welterbeauflagen zu hoch wären, die Gärtner in der Innenstadt viel mehr Geld für Wasser ausgeben müssten und sie große Schwie­rigkeiten hätten, Mitarbeiter oder Nachfolger zu finden. Frau Leumer sieht hingegen gerade in diesen innerstädti­schen „Gärten“, wie die hausbreiten Felder offiziell heißen, eine Chance. So würden sich die windgeschützten und somit wärmeren „kleinen Inseln“ zwischen den Häuserzeilen und die dort vorhandenen lockeren Sandböden eventuell für den Spargelanbau eigenen. Auch der Lavendel wächst, wie sie bereits ausgetestet hat, sehr gut und er braucht zudem nur wenig Wasser.

Allerdings würden viele Bamberger Gärtner ihre Felder nur an die eigenen Kinder weitergeben wollen und nicht an „Fremde“, was Frau Leumers Meinung nach zu „vielen hausgemachten Problemen“ führt, denn es gäbe etliche Interessenten, die die innerstädtischen Flächen bewirtschaften würden. Viele Gärtner hoffen jedoch darauf, dass ihre Felder eventuell doch noch zu Bauland werden – dann wäre allerdings Bambergs Welterbetitel weg. Ein weiteres Problem ist, dass mittlerweile die Felder oft irgendwelchen Erbengemeinschaften gehören, die heute darauf lediglich Wiesen wachsen lassen und insgeheim nur darauf hoffen, dass diese Flächen doch noch zu Bauland werden.

Abschließend erfuhr das P-Seminar an dem sonnigen, warmen Oktobernachmittag in Frau Leumers grünem, idyllischem Paradies noch einige kuriose Neuigkeiten:

  • So lernten wir, dass die kleinen, unscheinbaren Sandsteinmauern, die zwischen den Feldern stehen, früher, als es noch keine Treibhäuser gab, eine wichtige Funktion hatten. Sie speicherten nämlich die Wärme bis tief in die Nacht hinein und brachen den Wind, mit dem Effekt, dass die Pflanzen hier ganze zwei bis drei Wo­chen früher als vor der Stadt wuchsen und der Herbst hier erst zwei bis drei Wochen später Einzug hielt, was eine Verlängerung der Vegetationsperiode um einen Monat bedeutete. Daher wurde in den innerstädtischen Gärtnereien eher das empfindliche Marktgemüse angebaut, das über die Bahn sogar exportiert wurde, während vor der Stadt das Futter für das Vieh und die robusteren Pflanzen wuchsen.

  • Es gibt eine sogenannte „Cola- oder Spezi-Pflanze“. Wenn man die Blättchen derselben zwischen den Fin­gern zerreibt, riechen die Finger anschließend nach Cola oder Spezi. Offiziell heißt die Pflanze „wohlduftende Eberraute“ und sie eignet sich ideal für Wildgerichte.

  • Eine weitere interessante Pflanze ist Oregano bzw. wilder Majoran, das typische Gewürz für Pizza und Mit­telmeergemüse. In Bamberg wurde dieses Kraut auch Mussäro(l) genannt. Es ist zudem auch namensge­bend für Frau Leumers Gärtnerei. In den 1930er und 1940er Jahren war wilder Majoran, nach dem Süßholz, die zweitwichtigste Pflanze der Bamberger Gärtner. Es ist das typische Gewürz für Bratwürste, Leberwürste und viele andere Würste sowie für Kartoffelsuppen und alle fetteren Speisen, denn es ist gut für die Verdauung. Einst wurde Mussärol feld­erweise bei uns angebaut und mit einer kleinen Sichel geerntet. Anschließend musste es langsam und scho­nend im Schatten getrocknet werden. Hierfür wurde der wilde Majoran zu Büscheln zusammengebunden und aufgehängt. Dies geschah unter den Hofdächern der Gärtnereien. Da diese aber zur Trocknung flächenmä­ßig gar nicht ausreichten, wurde Mussärol auch unter den Dächern der Schulen, z.B. unter dem Dach der Wunderburgschule, getrocknet. Man erzählt sich heute noch, dass die Kinder oft am frühen Morgen vor Un­terrichtsbeginn von Bratwürsten träumten, da durch die Schulgebäude der Duft von Majoran zog. Dieser musste am Ende „rascheltrocken“ sein, ehe er in Säcke abgefüllt werden konnte. So wurde er sogar bis nach Venedig verkauft und Bamberger Majoran war in der Vergangenheit in vielen italienischen Würsten enthal­ten.

  • Abschließend kann man nur feststellen, dass sich ein Kräutergarten ideal für eine kleine Auszeit von unse­rem oftmals hektischen Alltag eignet.

P-Seminar Merz